August 2008Im August bleibt unsere Werkstatt wie immer für drei Wochen Sommerurlaub geschlossen. Nur im Speyerer Dom und im Konstruktionsbüro wird fleißig weiter gearbeitet. Wir möchten daher die Sommerpause nutzen, um über die neue große Orgel der Speyerer Kathedrale zu berichten, mit deren technischen Ausarbeitung wir bereits begonnen haben. Mit einer Fertigstellung ist nach jetziger Planung im Jahr 2010 zu rechnen. D
Die große Orgel wird zwei Spieltische erhalten. Einen rein elektrischen, der sich auf der Sängerempore befinden wird; von diesem aus lässt sich auch die Chororgel anspielen. Der Spielschrank mit der mechanischen Tontraktur befindet sich „eine Etage“ höher. So ist gewährleistet, dass die Orgel als Ganzes statisch auf einem Fundament ruht und so übermäßige Veränderungen in der Trakturlänge vermieden werden.
Für den Prospekt der neuen Hauptorgel hat das Speyerer Domkapitel auf Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats den Entwurf von Professor Gottfried Böhm (Köln) gewählt. Herr Professor Böhm wurde anderem 1986 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet und ist besonders im Erzbistum Köln für viele berühmte Kirchbauten bekannt. In einer Stellungnahme für den Wissenschaftlichen Beirat erläutert das Beiratsmitglied Prof. Dr. Dethard von Winterfeld die Entscheidung:
Der Entwurf von Professor Böhm für die neue große Orgel im Dom zu Speyer
Obwohl sich die ersten Entwürfe für die neue große Orgel im Dom zu Speyer an den Vorgaben des Domkapitels orientierten - zurückhaltende Gestaltung, Abstand von der begrenzenden Architektur und kein Hervortreten aus der rahmenden Empore - führten sie zu keinem befriedigenden Ergebnis. Daraufhin regte der wissenschaftliche Beirat eine begrenzte Ausschreibung an und das Domkapitel folgte diesem Vorschlag. Unter den eingegangenen Entwürfen ist derjenige von Professor Böhm nach übereinstimmender Meinung als einziger geeignet, die schwierige Aufgabe zu lösen. Der Entwurf verzichtet auf ein geschlossenes Gehäuse, das ganz gleich bei welcher Gestaltung immer in Konkurrenz zur rahmenden Architektur tritt. Bei einem Gehäuse ist auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Orgelprospekts schlechthin nicht zu umgehen. Dabei geht es entweder um die Rezeption historischer Vorbilder oder eigenwillige Interpretationen derselben. Dieser Gefahr entgeht der vorliegende Entwurf durch den Verzicht. Stattdessen wird die mächtige rahmende Emporennische zu einer Art Orgelgehäuse, sodass das Instrument und die rahmende Architektur eine ideale Symbiose eingehen. Gleichzeitig wird der unbedingt notwendige Abstand des Pfeifenwerks von der Architektur gewahrt, so dass die Tiefe des durch die Romanik vorgegebenen Emporenraumes noch erfahrbar bleibt. Aus Platzgründen ist zwar ein seitlicher Anschluss der Orgel an die Emporenwände nicht zu umgehen. Jedoch sind diese Teile so weit zurückgenommen und farblich zurückhaltend und im Einklang mit dem Orgelwerk getönt, dass sie nicht stören und der Architektur ihre Dominanz lassen. Die frei aufgestellten Prospektpfeifen sind entsprechend ihrer Größe folgend wie die "Orgelpfeifen" asymmetrisch aufgestellt und deuten damit die Gesetzmäßigkeiten des Instruments und des Orgelbaues an. Durch geschickte kontrapunktische Anordnung der verschiedenen Größenordnungen wird trotz der Asymmetrie ein in der Optik gewichtsmäßiger Ausgleich geschaffen, der sich hervorragend in die rundbogige Emporennische einfügt und zugleich eine gewichtsmäßige Symmetrie ergibt. Da die einzelnen Prospektregister gestaffelt hintereinander aufgestellt werden, von vorne nach hinten zurücktretend und zugleich von unten nach oben emporwachsend, bildet der Prospekt keine starren Fronten aus, sondern entwickelt eine gestaffelte Dynamik, die das Relief oben immer weiter zurücktreten lässt. Dadurch wird dem Blick des Betrachters von schräg unten oben immer mehr von der Raumhaltigkeit der Architektur sichtbar - ein für die Wirkung der Architektur idealer Nebeneffekt dieser Prospektgestaltung. Durch die zentrale Einbeziehung auch kleinerer Register wird zudem ein Element der Maßstäblichkeit in dem mächtigen Prospekt gewahrt. Der Prospekt macht zugleich die Gesetzmäßigkeiten des Orgelbaus optisch verständlich und anschaulich und dies mit einer Leichtigkeit, die nicht durch die feste Form eines vorgegebenen Gehäuses eingeengt oder erzwungen wird. Es war der Wunsch, die Gestaltung des Prospektes aus dem Orgelbau heraus zu entwickeln, was hier in hervorragender Weise gelungen ist. Natürlich hat man die offene Gestaltung von Orgelprospekten unter Verzicht auf formprägende Gehäuse schon am Anfang des 20. Jahrhunderts erkannt, als man sich gegen historisch überlieferte Formen wandte. Dem Orgelbau der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts war dieser Typ durchaus vertraut. Er lebte in den 50er und 60er Jahren im Kontext moderner Kirchenbauten fort. Insofern orientiert sich der Entwurf durchaus an einem bestimmten Typ der Orgelbautradition, was aufgrund der langen Geschichte in keinem Fall zu vermeiden war. Aber auch in dieser Hinsicht erweist sich der Entwurf als glückliche Wahl, weil er nämlich vorzüglich zu der eher nüchternen, ganz auf die Wirkung der Architektur konzentrierten Restaurierung der späten 50er Jahre passt. Mit dieser bildet der Prospekt eine hervorragende gestalterische Einheit, wie sie bei fast keinem neueren Ausstattungsstück des Domes sonst gegeben ist. Die Wirkung der klassischen Moderne steht also vollkommen in der Tradition der heutigen Erscheinung des Speyerer Domes. Dass der Entwurf gleichwohl nicht blindlings einem vorgegebenen Modell folgt, sondern individuell den vorgegebenen Bedingungen gehorcht und sich zurückhaltend in diese einfügt, wurde oben bereits hervorgehoben. Der bewegte Prospekt wirkt leicht genug, um den ganzen Aufbau unten von der Brüstung der Emporennische zu lösen und gleichsam schwebend erscheinen zu lassen. Die statisch dennoch notwendigen stützen werden optisch so zurückhaltend wie möglich gestaltet. Zusammenfassend darf man hervorheben, dass allgemeine Zufriedenheit darüber herrscht, einen künstlerisch derart gelungenen Entwurf für den Orgelprospekt gewonnen zu haben. Man darf die Erwartung äußern, dass die neue Orgel für den Dom eine Bereicherung darstellt und es gelungen ist, die musikalischen und technischen Anforderungen mit dem künstlerischen Anspruch des großartigen Bauwerks zu versöhnen. Die neue Orgel wird eine würdige Nachfolgerin für die nicht schlecht gestaltete, jedoch konservative Lösung von 1961 sein. Univ.-Prof. Dr. Dethard von Winterfeld
Nachfolgend finden Sie eine Erläuterung zu diesem Entwurf:
Erläuterungsbericht - Neubau der Orgel im Speyerer Dom
Die Orgel für den Speyerer Dom sehen wir als reinen, in der Gestaltung der Funktion folgenden, sinnvollen Klangkörper ohne künstliche Formgebung und Verzierung im Detail. Sie sollte unter Vermeidung jeglicher Dekoration ohne formale Anleihen aus der Architektur des Doms auskommen, als ein eigenständiges Element im Raum, das seinen eigenen gestalterischen Ausdruck hat. Wir denken im Übrigen, dass dies allein schon das in der Kirche ansonsten fremde und nicht mehr vorkommende Material der Orgelpfeifen erfordert. Das Musikinstrument sollte bündig in der großen Bogenöffnung als ein freistehendes Element empfunden werden können. Um dies zu erreichen, werden die an die Wände anschließenden Seitenteile möglichst weit in den Hintergrund geschoben und farblich neutral behandelt. Diese Seitenteile werden ausschließlich in Holz ausgeführt, sichtbare Metallteile sind zu vermeiden. Die Erscheinung der Orgel wird damit lediglich durch den Prospekt mit seinen Reihen von Metallpfeifen bestimmt, sie steht wie eine Skulptur frei und mit gebührendem Abstand in dem großen Bogen. Die Ordnung der vom Kirchenraum aus sichtbaren Pfeifen fällt entsprechend der natürlichen Tonfolge immer jeweils von links oben nach rechts unten. Mehrere solcher Pfeifenreihen bilden, zu einer Gruppe zusammengestellt, den Orgelprospekt. Um eine formale Einheitlichkeit des Musikkörpers zu gewährleisten, schlagen wir vor, alle sichtbaren Teile wie Windladen etc. in möglichst ähnlicher Farbtönung wie die Orgelpfeifen auszuführen oder diese gar mit dem selben Material zu verkleiden. Die Untersicht der Orgelbühne stellen wir uns demzufolge ebenfalls metallisch vor (z.B. als abgehängte Metalldecke). Da diese Decke von der Kirche aus doch stärker in Erscheinung tritt, als man es sich eigentlich wünscht, erhält sie unserer Vorstellung nach eine schwach wirkende Ton-in-Ton Bemalung, die die Aufgabe hat, sie zu strukturieren und aufzuwerten. […] In der nun anstehenden Detaillierung haben wir das Ziel, eine gestalterische Geschlossenheit der Orgel zu erreichen, damit sie die notwendige Selbstverständlichkeit und Ruhe ausstrahlt kann und somit ein den gewaltigen Gesamteindruck des Speyerer Doms unterstützendes Element werden kann. Prof. Stephan Böhm
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